Die Renaissance der schwarz-weißen Welt

Sie hängt schon wieder seit Stunden auf Facebook ab. Ihr Zeigefinger scrollt mechanisch im Intervall die endlose Zeitleiste herunter. Ab und zu bleibt sie hängen. Ein ehemaliger Mitschüler hat etwas geliket: Es ist das Pamphlet eines Dresdner AFD-Politikers zu den Anschlägen in Barcelona, Berlin und Nizza. Wer ist Schuld am Terror? Offne Grenzen und radikaler Islam, so die Kurzform.
Sie klickt sofort auf das Profil des Politikers. Eine Facebookseite, wie sie in den deutschstolzen Kreisen üblich ist. Bilder von Fahnen in den Farben schwarz, rot und gold, Bilder mit Anhängern und gleichgesinnten Politikern. Daneben hängt der rote Faden der Hetze: Einwanderung, Wahlmanipulation, linke Politk und das Ende der deutschen Kultur. „Willkommenspolitik ist tödlich“ ist so ein Satz der ihr hängenbleibt. Sie überlegt. Eigentlich kannte sie den Jungen ganz gut. Er war in ihrer Parallelklasse. Keine Leuchte unbedingt, aber auch nicht auf den Kopf gefallen. Wie konnte es dazu kommen, dass der da nun verwickelt ist. Und ist er das überhaupt? Ist ein Like eine 100% Zustimmung, oder eher ein Abnicken oder vielmehr ein „Ja, das ist ein Standpunkt den man auch vertreten kann“? Was bedeutet diese wortlose Zeichengebung?

Sie geht auf sein Profil. Hatte lange nichts von ihm gesehen. Ein paar Urlaubsbilder, irgendwelche Geburtstagsstatements, Bilder mit Freunden und zwischendrin immer wieder Meinungen. Hamburg vom G20-Gipfel wird da thematisiert, mit Bildern der Zerstörung und einem wütenden Text über linken Extremismus. So weit nicht schlimm. Sie scrollt weiter. Hier und da ein Like bei AFD-Angehörigen. Ein, zwei Kommentare zur Merkelpolitik. Irgendwann kommt ihr das doch sehr einseitig vor. Es geht oft um die Verurteilung von Gewalt, diese erfolgt allerdings nie pauschal, sondern ist immer an die Täter geknüpft: Links- und Islamextrimisten. Das ist die Gruppe die verurteilt wird. Ein zweites Thema ist der Schutz des Eigentums, der Schutz der Privilegien Westeuropas: Wohlstand, Wachstum, Wichtigtuerei. Sie spürt, wie sie etwas säuerlich wird bei diesem Anblick.

Auf einem Bild sieht er aus wie ein Gockel. So eine hochgeföhnte blonde Locke, dazu ein Fünftagebart. Ein Grinsen, das vermutlich charmant sein soll. Und der Körper in so einen hellblauen Anzug gesteckt, mit kleiner Fliege unter dem Hahnenhaften Dotterkinn. Sie merkt wie sie sich immer mehr positioniert zu dem. Eine Distanz tut sich auf. Ist es, weil sie seit Monaten viel Spiegelonline liest? Ist sie befangen von der dort ebenfalls tendenziösen Meinungsmache?

Sie will ihm schreiben. Ist schon auf dem Nachrichtenicon. Drückt drauf. „Hallo Markus…“ tippt sie. „ich habe gerade deine Seite überflogen und mir sind viele deiner politischen Likes und Kommentare aufgefallen“. Dann überlegt sie. Bisher ist es nur eine Beobachtungsbeschreibung. Jetzt muss der Umschwung kommen. „Ich wundere mich, warum du einem offensichtlich fremdenfeindlichen Beitrag einen Like gibst.“ Sie grübelt. Dann löscht sie alles wieder. Zu direkt erscheint es ihr nun. Und „wundern“ ist auch so eine blöde Formulierung, das ist so ein versteckter, elender Vorwurf und damit würde sie nichts erreichen. Und „offensichtlich“ war sowieso nichts in dieser Welt, das polarisierte nur noch mehr. Sie beginnt erneut: „Ich finde es nicht gut, dass du einen AFD-Politiker mit Likes unterstützt, der keine differenzierte Meinung formulieren kann, sondern nur die Angst der Menschen zu seinem Zweck ausnutzt“. Das fand sie schon deutlich besser, das mit der Angst war ja immer so der stärkste argumentative Punkt in solchen Diskussionen. Aber dann würde er mit >Realität< anfangen und das Angst nicht immer ein schlechtes Zeichen wäre, sondern ein Instinkt, der Leben retten konnte. Und was war eine "differenzierte" Meinung? Wieviele Quellen musste man gelesen und verwurschtelt haben um als differenziert zu gelten? Höchst verfänglich. Ihr fiel einmal wieder auf wie grausam die Sprache war. Sowieso würde das alles nichts bringen. Falls man irgendwann tatsächlich dahin kam eine konstruktive Diskussion zu führen, würde das passieren was dann irgendwann immer geschah. Die in die Enge getriebene Partei würde sich auf Definitionsschwierigkeiten stürzen, würde behaupten, dass man eigentlich das gleiche sagte und nur die Worte unterschiedlich seien. Manchmal kam es sogar soweit, dass das komplette Kommunikationssystem der Menschen in Frage gestellt wurde, dass den Menschen die Verständigungswilligkeit abgesprochen wurde. Sie brach dann komplett ab mit der Kontakaufnahme. Sie wusste, dass sie ihr Anliegen noch als Frage formulieren könnte, neutral, freundlich, aufgeschlossen. Sodass der andere sich nicht angegriffen fühlt gleich zu Beginn. Aber sie vermutete, dass sie dann nur eine zurechtgelegte Antwort bekommen würde. Eine Mixtur aus Meinung, Fakten und Spekulationen. So richtig aufdröseln wollte ja keiner mehr. Zu wenig selbstkritisch kamen sie alle daher. Auf allen Seiten. Meinungszombies. So nannte sie die mittlerweile. Dabei verband sie im Inneren wohl doch eine Sache. Sie wollten die Welt, die Gesellschaft, ihr Umfeld alle mitprägen. Sie wollten dabei sein und ihre Vorstellungen umsetzen. Es lagen Welten zwischen all diesen beteiligten Parteien. "Kompromiss" war das heilige Wort, dachte sie. Aber die Kompromissfähigkeit verlangte, dass man sich immer wieder verständigte, dass man miteinerander agierte und aufeinander zuging. Das wollte hier jedoch keiner mehr. Die Leute waren faul geworden. Sie wollten sich nicht mit anderen Ansichten auseinandersetzen. Es gab zuviele davon. Einen Überblick zu bekommen war überhaupt nicht mehr möglich. Ihre Köpfe waren so versteinert, dass sie annahmen, sie könnten damit wirklich durch Wände gehen. Was war das nur für eine schrecklich komplexe Welt, dachte sie. Was für ein vermaledeiter Scheiß in den sich die Menschheit da hineingefuhrwerkt hatte, mit ihrem Streben nach der freien Entfaltung. So viele Süppchen und so viele Rezepte dazu, die keiner kannte. Sie öffnete das Fenster. Dann griff sie den Laptop und warf ihn hinaus. Vorbei. Ruhe. Für einen Moment.

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