Am Ende bleibt der Hass

„Fleischerei Bäcker“ stand in großen roten Lettern über dem Geschäft von Detlef-Dieter Bäcker. Daneben war eine große Bockwurst und ein Brötchen aus Plastik angebracht. Das Geschäft wurde von vielen Menschen der Kleinstadt gemieden. Nur ein paar Stammkunden, meist ältere Frauen mit einem Straus Ohrhaaren trauten sich durch die schmale Fasadentür zu treten. Für die anderen Bewohner der Umgebung, vor allem für die Jüngeren, war der Name über dem Geschäft einfach zu verwirrend. Handelte es sich um eine Fleischerei, einen Bäcker oder eine neumodische Verknüpfung dieser uralten Fachbereiche? Das war zuviel. Man wollte sich selbst nicht bloßstellen und im Supermarkt gab es sowieso die gleichen Produkte nur in billiger und in schöner zugeschweißter Plastikverpackung. Detlef-Dieter war nie auf den Gedanken gekommen, einen kreativen oder innovativen oder gar verständlicheren Namen über seinem Geschäft anzubringen. Er hatte den Laden von seinem Vater geerbt. Und auch davor war er schon einige Generationen in Familienbesitz gewesen.

Detlef-Dieter hatte sich in den letzten 10 Jahren sehr verändert. Den Niedergang seiner Wirtschaftlichkeit hatte er zuerst mit strategischer Ironie nicht an sich herangelassen. Aus Ironie war dann Sarkasmus geworden und später hatte er Tobsuchtsanfälle bekommen. Wenn er stundenlang hinter der Theke stand und auf Kunden wartete, war er ab und an nach hinten in die Küche gegangen, hatte sich Wasser in das große Waschbecken eingelassen, seinen Kopf reingehalten und so laut gebrüllt wie er nur konnte. Der Anstand und Schein sollte schließlich gewahrt werden. Und es half anfänglich. Der angestaute Frust wurde abgelassen, das Gebrüll wesentlich gedämpft und das kalte Wasser kühlte seinen rotpochenden Kopf ein wenig herunter. Einmal hatte er einem Buben, der nach einem Schweineohr verlangte, eine Boulette an den Kopf geworfen.

Seine Hoffnung ruhte nun ausschließlich auf seinem Eintritt ins Rentenalter und einer Übernahme seines Geschäfts durch seinen Enkel. Lang würde es nicht mehr dauern. In zwei Wochen würde er 67 werden. Nächste Woche kam sein Enkel Olaf zurück. Der war irgendwo in Asien gewesen, das wusste Detlef-Dieter.

Fast jeder der ihn hier kannte wunderte sich über den alten Detlef, weil er durch seine Verbittertheit und den tiefgreifenden Welthass so prädestiniert dafür war ein AFD-Wähler zu werden. Außerdem verfügte er über keinerlei Humor oder Selbstironie. Sein Charakter und seine Biografie waren eigentlich perfekt auf jene Partei zugeschnitten, doch entgegen aller Vermutungen war es nicht so weit gekommen. Noch nicht.

Enkel Olaf kam nämlich nicht allein aus Asien zurück. Ihn begleitete die wunderschöne Inderin Anjali, mit der Enkel Olaf zum Erstaunen von Detlef-Dieter verlobt war. Anjali war dermaßen hübsch und gebildet, dass Deltlef vermutete, sein Enkel würde ihr oder ihrer Familie viel Geld bezahlen, damit sie mit ihm zusammen war. Schließlich war er eher das Gegenteil von ihr. Unansehnlich und nicht sonderlich clever. In diesen Punkten war er Detlef nicht unähnlich, was sich dieser aber natürlich niemals eingestehen würde.

Als das erste fröhliche Wiedersehen vorüber war, kam Detlef auf die Fleischerei zu sprechen. Direkt und ganz und gar unverblümt erinnerte er Enkel Olaf daran, dass dieser ihm mit 7 Jahren geschworen und heilig versprochen hatte, den Laden zu übernehmen, wenn Detlef ausschied. Jeglicher Gedanke, dass dies, 16 Jahre später nicht mehr aktuell sein könnte, kam in Detlefs Gehirn schlicht nicht vor. Aber Olaf reagierte besonnen. Er kannte seinen Großvater nur zu gut, als dass er ihm ohne eine stichhaltige Argumentationskette wiedersprechen könnte. „Opa“ sprach er also: „So gern ich auch deinen famosen kleinen Laden übernehmen würde, so ist es mir leider nicht möglich. Wie du sicher weißt, bin ich vor 2 Jahren zum Islam konvertiert und daher vermeide ich jeglichen Kontakt zu Schweinefleisch.“ Detlef starrte ihn ganz entgeistert an. „Ja Sapperlott noch eins. Zum Islam oder was. Ein Muselmann bist du jetzt oder was? Das hab ich nicht mitbekommen“ Olaf schüttelte geduldig den Kopf und lächelte. „Eher ein Muslim, Opa. Muselmann sagt man nicht mehr und es ist politisch eher auf der unkorrekten Seite einzuordnen.“ Während Olaf so klug daherquatscht, sieht Detlef seine Zukunft durch seine schwülstigen Fleischer-Finger gleiten. Sein geliebter Laden, von ihm in den Ruin gestoßen. Dass darf nicht sein. Doch da kommt ihm ein genialer Einfall. „Was wäre denn, wenn du einfach auf Schweinefleisch verzichtest. Ich meine Hühnchen, Kalb und Rind sind auch sehr feine Fleischsorten. Damit kann man viel anfangen und Muslime, wie du sie nennst, gibt es auch bei uns im Ort. Das ist perfekt für die zugeschnitten.“ Er strahlt vor Stolz über seine grandiose Idee. Was bin ich doch nur für ein edler Geschäftsmann denkt er bei sich und grint seinen Enkel erwartungsvoll an.

Dieser windet sich einen Moment. Er will auf keinen Fall den beschissenen Laden vom Alten übernehmen, so hatte er es im Stillen Anjali erzählt. Wie kommt der alte Sack auch darauf das Versprechen eines Kindes einzufordern. Der Laden lief sowieso so schlecht, dass man ihn bald schließen müsste. Das wusste jeder. Schweinefleisch hin oder her.

„Opa“ setzt er also wieder an. Fast schelmisch war ihm eine neue Ausrede in den Sinn gekommen. „Meine liebe Anjali ist wie du weißt Inderin. Ihr kultureller Background verbietet es ihr, einem Kalb oder Rind etwas anzutun. Wie könnte ich, der sie über alles liebende Mann“ – in diesem Moment schaut er verschwörerisch zu ihr rüber – „da selbiges tun. Nein, nein, nein. Das geht nicht. Diese Tiere sind heute unsere Freunde. Und sie sind heilig. Das verstehst du doch, oder?“ Damit hatte er ihn. Opa Detlef war immer so stolz auf seine Toleranz gewesen, hatte immer damit geprahlt, wie er in den 50ern ein schwules Pärchen gedeckt hatte. Aber jetzt kam es drauf an. Das war noch eine viel größere Prüfung für ihn. Schwach war er, ganz schwach. Sein Lebensmut war von ihm gewichen. Er würde mit dem Laden untergehen. Und alles wegen dieser neumodischen Scheiße. Islam, Inder, wo kam das plötzlich her? Es war doch alles immer in Ordnung gewesen hier. Geordnet, so wie er es kannte. Deutsche Kultur und Ansprüche und jetzt das. Das war schlimmer als diese andere Sache, die jetzt so angesagt war. Wie heiß das doch. Vegetarierer. Menschen, die kein Fleisch aßen. Was für ein Müll. Warum musste sich immer alles verändern. Es war doch alles gut gewesen, wie es war. Die Leute waren glücklich und zufrieden. Alles war prächtig, damals.
Jetzt würde die Fleischerei Bäcker dem Turbokapitalismus zum Opfer fallen, wie so viele Fleischerein vor ihr. Mit letzter Kraft brachte er ein „Und was ist mit dem guten Hühnerfleisch. Da kenne ich keine Religion oder Kultur oder was aus immer. Da machste was mit Frikassee oder für Schnitzel. Das ist gerade total angesagt, weil das so fettarm ist.“ Er traut sich schon gar nicht zum Enkel rüberzusehen. Der antwortet ganz ruhig, jetzt fast genüßlich: „Das Fipronil Opa, das Fipronil.“

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